Heilige und Hure.

Patrizia Kopatschinskaja, hier eher kindlich

Auf den Konzertplakaten der Klassik steht der Name des Orchesters und/oder des Solisten deutlich im Mittelpunkt, das Repertoire viel kleiner irgendwo drunter. Maximal drei Komponisten, mehr sind es in der Regel nicht, gegriffen meist aus dem traurig engen Fundus der »Großen« der Musik des 19. Jahrhunderts. Das war am Dienstag abend, dem 18. April, in der Elbphilharmonie in Hamburg anders. Unter dem Titel »Maria Mater Meretrix« stand im großen Saal das Bild der Frau in der Musikgeschichte im Mittelpunkt der »Resonanzen 5« des Hamburger Ensembles Resonanz. Für das Konzept zeichneten die zwei Solistinnen des Abends verantwortlich, Sängerin Anna Prohaska und Geigerin Patricia Kopatchinskaja, erstere im langen Barockkleid, letztere wie immer barfuß, in Hosen.

Anna Prohaska

Mit Gustav Holsts (1874–1934) »Jesu sweet« op. 35 ging es im Mittelalter los, allerdings präraffaelitisch zurückgegriffen, der Saal abgedunkelt. Beim folgenden Walther von der Vogelweide (1170–1230), so der für die Maßstäbe der deutschen Gegenwart erfreulich kritische Programmheftbeitrag (Thilo Braun), taucht die Frau lediglich als gebärende »magt« auf. Walthers »Palästinalied« macht den Gläubigen nach uraltem Rezept die räuberischen Kreuzzüge ins »heilige Land« als Missionen im Namen göttlicher Liebe schmackhaft, heute ziehen sie im Namen der »Menschenrechte« los.

Frank Martin

Tobias Rempe, künstlerischer Leiter und Manager des Ensemble Resonanz, wies in seiner kurzen Einführung vor dem Konzert darauf hin: Die in der Marienverehrung durch die Jahrhunderte unveränderte Festlegung der Frau auf ein unkörperliches, abhängiges, duldsames Nebenwesen hat sich bei Licht besehen bis in die Gegenwart nicht entscheidend bzw. nicht überall gewandelt. Die Musikentwicklung in derselben Zeitspanne fand indes in einer Folge musikalischer Revolutionen statt. So passierten an diesem Abend Mittelalter (Hildegard von Bingen), Choralpolyphonie (Guillaume Dufay), Renaissance (Tomás Luis de Victoria), Barock (Antonio Lotti und Antonio Caldara) und Wiener Klassik (Joseph Haydn) Revue. Die Romantik war mit dem schönen Lied »Maria durch den Dornwald ging« und in spätesten Vertretern wie Frank Martin (1890–1974) vertreten. Gipfelnd im »Magnificat«, verarbeitet Martin in seinem »Marien-Triptychon für Sopran, Violine und Orchester« die Tradition auf dramatische, mit bis zur Zwölftontechnik angereicherte Art.

Eingestreut die Zeitgenossen. George Crumbs (1929–2022) erstes Streichquartett »Black Angel« trägt den Untertitel: »In tempore belli«, der Programmhefttext bringt es zeitlich mit dem Vietnamkrieg in Verbindung. Ein zarter, hoher Klang füllte an seinem Ende die Konzertsaalluft; er entsteht, wenn Kristallgläser von Geigenbögen angestrichen werden, darüber eine Art schriller Serenade des durchweg am Steg gestrichenen Solocellos. Es wurde leise, als die Gläser wieder allein erklangen, die Stimmung dimmte nicht zum ersten Mal an diesem Abend ins Gefühlig-Intime.

Prohaskas Sopran bewältigte die sich zwischen den Kompositionen auftuenden, maximal den Faktor acht aufweisenden Jahrhundertsprünge souverän, stilsicher und beeindruckend schön. In den drei »Kafka-Fragmenten« des Ungarn György Kurtag (geb. 1926) drang das fahle Licht und die Gebrochenheit einer brutal dissonanten Gesellschaftsordnung mit ihrer marienhaft statischen Verehrung der bürgerlichen Familie ins Ohr. In ihrem in virtuoser Rage dahinspringendem »Danse macabre« lief Kopatschinskaja (geb. 1977) zu großer Form auf. Sie ist geigespielend ein Wesen zwischen Fee und – im feministisch positiven Sinn – Hexe. Mit Hanns Eislers (1898–1962) »Kuppellied« aus Brechts »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe« ging es dem Ende zu. Das Gegenteil der Jungfrau Maria, die Hure Meretrix des Programmtitels, wurde zu neusachlich-aufmüpfiger Musikwirklichkeit. Caldaras Lied der Maria Maddalena, gesungen zu Füßen Christi, machte den herzergreifenden Schluss.

Es gibt keine »großen« und »kleinen« Komponisten, keine Unverträglichkeiten zwischen Stilen und Zeiten. Es gibt nur gute und schlechte Musik und Musiker, die historisch stimmig mit ihr umgehen. Ein gelungener Abend. Werbung für eine von Vorurteilen befreite Klassik. junge Welt, April 2023

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Fantasie.Par Alexander Melnikov.

Tangentflügel von Christoph Friedrich Schmahl (1790), rest. von Georg Ott

„Fantasie“ nennt Alexander Melnikov seine neue CD, ein, wie es in der Popmusik heißt, Konzeptalbum – in zweierlei Hinsicht. Der in Berlin lebende Pianist aus Moskau widmet sich hier der musikalischen Gattung Fantasie; er macht anhand von sieben historischen Instrumenten aus seiner „Collection“ anschaulich, wie, analog zur Entwicklung der Musikgattung Fantasie – und diese zugleich beflügelnd – die Klavierbautechnologie heranwuchs. Die Wortschöpfung „Fantasie“ geistert seit dem 16. Jahrhundert durch die Musikgeschichte. Johann Sebastian Bach (1685-1750) hat sie auf den Begriff gebracht in Richtung einer Form, die später sein zweitältester Sohn Nachfolgern wie Mozart oder Schubert als „Fantasie“ hinterließ.

Der Vergleich von sieben Entwicklungsstadien sowohl des Zeitstils als auch des Instruments, in dem er sich verwirklichte: das Siebenerlei der Klangentwicklung wird anhand einer einzigen musikalischen Form demonstriert. Sie wandelt sich im 19. Jahrhundert bis zur Unkenntlichkeit. Bleibt sich aber in der Haltung des Spielers zu dem, was Musik in einem einzigen Moment sein und werden kann, durch alle Zeiten erkennbar ähnlich. 

Flügel von Érard (1885), rest. von Markus Fischinger

Eine Haltung, mit der sich in dem dreißigjährigen Bach in Köthen eine Wendung vollzog. Von der bloßen Demonstration, von der musikalisch distanzierten Schilderung ausgewählt aristokratischer Gefühlszustände im Barock wendet sich die Musik von da an der Innerlichkeit ihrer Erfinder zu. Aus den vielen, Bachs Fugen vorangestellten Präludien entwickelt sich in der berühmten »Chromatischen Fantasie und Fuge d-Moll« die Keimzelle der Fantasie. Kein Zufall, dass damit die Hinwendung von der gottesdröhnenden Orgel zum Privatklang eines »Claviers« einherging.

Was Bachs Genie der weltzugewandten, lebensfrohen köthener Atmosphäre verdankte, war – mit der Entdeckung spontaner Lebenslust nun auch im Komponieren – eine gewisse Distanz zu den altehrwürdigen Regeln des Satzes, der Periodenbildung, der Tonartendramaturgie. Es ist die Haltung des improvisierenden, des sich im Moment der Aufführung ungebunden aus der Fülle des Angebots an Motiven, Imitationen, Variationen, an schier endlos modulierenden Arpeggien-Perlenschlangen bedienenden Musikers – unvorstellbar, dass so etwas von den, sich auf dem Podium als Einheit von Komponist und Interpret zeigenden Tonsetzern aus dem Gedächtnis nachnotiert wurde.

Alexander Melnikov, ein nicht erst seit Februar 2022 putinphober NATO-Kritiker, bewegt sich auch in der Musikgeschichte als Freigeist. Er gilt nicht als „Spezialist“. Vielleicht, weil er sich beim Spielen von Bach bis Schnittke so ideomatisch ausdrückt, als sei er einer. Er spielt auf der neuen CD, zum ersten Mal in seiner langen Diskografie, auch ein von der Klaviertastenhaptik weit entferntes Cembalo, seine Finger arbeiten auf den Tasten eines mozartschen Hammerflügels (Anton Walter), für Mendelssohn-Bartholdi wählt er einen Alois Graff, einen Érard für Chopin, den Busoni spielt er auf Bechstein, den Schnittke auf einem modernen Steinway. Der rote Faden, der Bezugspunkt, bleibt bis zum Steinway – Schnittke bedient gekonnt die Unique Playing Points (UPP) dieser Marke – der alte Bach.

Eine Enzyklopädie des Klangs per Tasten gespielter Saiteninstrumente, ein kleines Organon musikalischer Aura und eine kurze Formgeschichte der Fantasie in der Musik, alles dargereicht auf dem Silbertablett mit kühl-sensibler Leidenschaft inszenierter Musik, eine ausgemachte Geistes-und Ohrenschwelgerei. junge Welt, Mai 2023

Fantasie: Sebastian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Wolfgang Amadé Mozart, Felix Mendelssohn-Bartholdi, Frederic Chopin, Ferrucio Busoni, Alfred Schnittke (Harmonia Mundi France/spotify, apple music et al.)

CDREVIEWS

War früher wirklich alles besser?  

Der Klassikbetrieb im Wandel

SWR 2 , 2023

<– Eine von sechs: die Sopranistin Christine Schäfer

Ein ironischer Titel. Sechs Protagonisten des Klassik-Betriebs erzählen im Präsens, im Imperfekt, in der Vergangenheit aus sechs Perspektiven die Lage der Dinge. Vieles in dieser Branche blieb sich allzulange gleich. Anderes hielt mit dem unaufhaltsamen Wandel der Zeiten Schritt, es spielt ihm im Bestfall seine eigene Melodie vor. Eine unvermeidbar unvollständige Bestandaufnahme, eine Hommage an alle auf der Bühne und im Saal, die in einer unübersichtlichen Weltlage auf der Suche nach neuen Wegen sind.

Redaktion: Almut Ochsmann, Technik: Andrea Greß, Sprecherin: Bettina Müller-Hesse

RADIOARBEITEN

Bella Ciao.Mittwochs in der Einkaufszone.

Es gibt so Tage. Mittwoch. Alles ganz normal. Regenwetter, windig und kalt, ein trüber Tag auch in der Seele. Die unter größeren Bahnhöfen angesagte Shopping Mall ist überlaufen wie immer. Die Leute kommen von den Zügen, strömen zu den Zügen, sie eilen von A nach B. Reklame baggert von allen Seiten. Auf der Treppe nach oben prickelt es plötzlich wieder im Gesicht. Ich höre Musik. Ein fernes Akkordeon. Oben angekommen, blicke ich in die breite Öffnung der Fußgängerzone. Auch hier, von Bussen unterbrochen, strömt es hin und her. Niemand bleibt stehen bei dem Mann mit dem Akkordeon.

Aber was spielt er! Ich kenne das Lied, ich habe es Ewigkeiten nicht gehört. Er spielt es schnell, schwungvoll, nicht wie ein Lied der Trauer, mehr wie einen Tanz. Ich nähere mich. Er sieht orientalisch aus, auf seinem Kopf eine schwarze Pudelmütze, Bart und Haare von feinem Weiß durchwirkten Schwarz, eine warme Jacke. Er lacht. Dieses Lied an solch einem Tag unter solchen Menschen! Ich zücke das Portemonnaie, ich fingere einen Euro heraus und werfe ihn im Bogen zu den anderen Münzen in die Akkordeontasche, ich schaue ihn an und rufe begeistert und für die geschäftige Menge ringsum wohl ein wenig zu laut: Bella ciao! Er lacht. Ich gehe weiter. Ich höre hinter mir, mit immer neuen Verzierungen und Überleitungen, immer wieder einmündend in denselben, das Herz erwärmenden Refrain: Bella Ciao!

In »Bella Ciao« betrauern die Antifaschisten ihre Heldinnen und Helden, sie beschwören in ihnen zugleich den Kampf per la libertá – wie die italienischen Partisanen sangen – , für die Freiheit von Ausbeutung und Unterdrückung; in diesem Kampf wirkt das Ethos der Märtyrer auf die Lebenden zurück. Es nimmt mich mit. Ich putze mir die Nase. Verschämt entferne ich mich ein Stück. Es ist alles viel zu rührselig. Er spielt das Lied immer fort. Und miteins geht mitten in dieser angsterfüllten Welt wertebasierten Raubs in mir ein anderer Himmel auf. Es ist mir egal, was die Leute denken. Warum soll ein fast alter Mann in irgendeiner Einkaufszone aus irgendeinem persönlichen Grund nicht in der Menge stehenbleiben und herzerschütternd weinen im Versuch, so auszusehen, als putze er sich die Nase? Der traurige Abschied dieses Lieds eines todgeweihten Freiheitskämpfers geht in mir auf in der Vorstellung einer riesigen, „Bella ciao“ singenden Menschenmenge. Ein Meer schwarzer Haare, Hüte von Kokabauern, von Reisbauern, Palästinensertücher, Tarnfarben der Frauen der YPJ, irgendwo das Schwarz der Madres de Plaza de Mayo. Fröhlich untergefasst mitten unter ihnen singt in mir das Lied, getrieben vom zärtlichen Optimismus des – woher auch immer das Instrument kommt – auf jeden Fall blockfreien Akkordeons.

Wenige Meter entfernt stochert sich ein in Lumpen gekleideter, abgemagerter Mann meines Alters vor einer Wand mit in der Sonne vergilbten, schon lang nicht mehr gültigen Veranstaltungspostern auf Krücken vorbei. Auf einem der halb abgerissenen Plakate das in der Blässe immer noch krass bunte Selbstporträt Frida Kahlos. Ich drehe mich um. Eine junge Frau kommt mir entgegen, die rechte Hand über ihren runden schönen Babybauch gelegt. Hätte ich etwas in dieser Art irgendwo als Skript abgeliefert – jeder hergelaufene Medienmensch hätte mich vollzurecht raugeschmissen.

Der Wirklichkeit aber muss man so eine Story abnehmen, sie ist mir schließlich letzten Mittwoch zugestoßen. Und meine Weigerung, mich der allgemeinen Niedergeschlagenheit anzuschließen, ist nicht aus der Luft gegriffen. Wollte man etwa eine Weltraumstation bereisen und auf die kleine Einkaufszonenwelt neben dem Bahnhof dort unten hinabschauen; wollte man zugleich die Regionen auf dem vor uns in der unverstellten Sonne liegenden Erdball einfärben nach der Lebenseinstellung der Menschen, die in ihnen leben; und würde man die Regionen der Menschen mit der Lebenseinstellung in der kleinen Einkaufszone grau einfärben, die restlichen Erdteile, deren Bewohner aufgrund sehr verschiedener Lebensumstände eine grundverschiedene Weltsicht haben, dagegen blau – strahlte ein blauer Planet zu unserem Raumstationspanzerfenster herein. Das Grau, es fände sich überwiegend in der nördlichen Hälfte, füllte kein Drittel der blauen Weltenkugel, es schmölze ohnehin ganz langsam ab.

So wie der Westen tickt, kann selbstverständlich niemand ausschließen, dass auch das Unausdenkliche geschieht, dass alles anders kommt. Aber die wahrhaft internationale Gemeinschaft (der Friedfertigen) war ökonomisch und diplomatisch nie stärker als heute. So seltsam es zurzeit vielleicht klingt: es ist der Krieg als Ultima Ratio des kapitalistischen Systems, der im Frühjahr 2023 mit dem Rücken zur Wand steht. Der Versuch, ihn zum Teufel zu jagen, lohnt bis zum letzten Atemzug. Sorry für so viel Pathos. Bella ciao.   junge Welt, April 2023

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Beethovens Besondere.Die Missa.

(Zwischenüberschriften: Redaktion)

Beethoven hat immer Geburtstag. Mit Aufführung jedes seiner Werke wird er neu geboren. Besonders schwierig ist diese Neugeburt nicht bei den großen Werken, mehr bei den größten, jenen, denen auf ewig die Zukunft gehört. Die Zukunft der Missa solemnis D-Dur op. 123 hat so richtig vielleicht noch gar nicht begonnen.

Geburtshelfer der Stunde ist der belgische Dirigent und Ex-Altist René Jacobs. Die bis 2027 zum 200. Todestag des Tonsetzers weiterlaufende große Beethoven-Edition des Labels Harmonia Mundi France gab ihm mit dem Freiburger Barockorchester (FBO) und dem RIAS-Kammerchor sowie vier exzellent ins Konzept passenden Gesangssolisten erneut einen mit historischer Aufführungspraxis virtuos vertrauten Kreis von Musikern an die Hand.

René Jacobs

Vom Gebrauchswert zunächst. Die fünf Abschnitte des Ordinariums der Missa, Beethoven hält sich mit akribischem Eifer an die überlieferte Form des Texts, sind per Einzeltracks in ihren Teilen abzuhören. Das erleichtert jenen, die sich schlau gelesen haben und das Gelesene im einzelnen hörend überprüfen möchten, die Arbeit des Vergnügens. By the way: Wer zur Missa solemnis gerade nicht weiß, welches Buch, dem sei Jan Assmanns Arbeit zum Thema empfohlen. Von Haus aus ein international renommierter Ägyptologe, trägt der offenbar große Musikfreund und Kenner Assmann von Zeit zu Zeit auch in Musikbüchern enormes Wissen zusammen. Im Buch über die Missa findet sich von der Entstehungsgeschichte der Messform und Themen wie »Die Kunstwerdung der Messe« bis hin zum kurzen Einblick in die andauernde wissenschaftliche Kontroverse um die Missa auch eine detaillierte Werkanalyse; das Buch, für den Fall, dass man sich hineinwühlen möchte in die Missa, kommt zu Jacobs’ Neuaufnahme gerade recht.

Der Anlass

Anlass der Messkomposition war die Nachricht von der Ernennung des jüngsten Kaiserbruders Rudolph zum Erzbischof von Olmütz. Eine auch musikalisch zu feiernde Bischofsweihe stand an. Beethoven trug sich schon lange mit dem Gedanken einer großen Messe. Zufällig arbeitete er mit den »33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli« zeitgleich daran, Bachs epochalen »Goldberg-Variationen« etwas Ebenbürtiges an die Seite zu stellen. Auch dem anderen Opus summum des Thomaskantors, der h-Moll-Messe, wollte er nun – knapp hundert Jahre nach Bach – mit einem eigenen Werk gerecht werden. Zudem wäre es für ein endlich einmal regelmäßiges und hinreichendes Einkommen sicher nicht schlecht gewesen, wäre er seinem Edelschüler, dem Erzherzog Rudolph, als Domkapellmeister nach Olmütz gefolgt.

Zitat aus meinem Beethoven-Buch: „Als er sich Anfang 1819 an die Arbeit macht, mag er ahnen – er hat ‚immer das Ganze vor Augen‘ –, es wird etwas länger dauern als geplant. Er beschäftigt sich von ‚den Mönchen‘ (Kirchentonarten) bis zu Palestrina, von Bach und Händel bis zu Haydn mit allem, was er in den Bibliotheken des Kaiserhofs, des Hauses Lobkowitz und Erzherzog Rudolphs an Noten ‚aller christkatholischen Psalmen und Gesänge‘ findet.“ Und begegnet in den alten Partituren ihm bis dato mehr vom Hörensagen bekannte musikalische Möglichkeiten. Es scheint ihm offenbar ausgeschlossen, sich ihrer wie gewohnt – nämlich mit „thematischer Arbeit“ sowie mit allgegenwärtiger Polyphonie – zu bemächtigen. Nachahmen oder Zitieren kommt – mit Ausnahme zweier Händel-Stellen – nicht infrage. Er nutzt den Umstand, dass er großen Meistern der Vergangenheit wie Perotin, Buxtehude oder eben Händel an kompositorischer Größe in nichts nachsteht und schreibt in ihrer aller Geist auf ihrer Höhe einen Beethoven, den es vorher nicht gab und nachher nicht noch einmal geben wird. Der von ihm bis an seine Grenzen entwickelte Typus einer sinfonisch-oratorischen Ausspinnung der Idee des Sonatenhauptsatzes – ihr Meisterwerk das Finale der Neunten – macht einer prallen und ungewohnt oft homophonen Vielfalt unterschiedlicher Genres, Stile, Idiome und Tonfälle aus vielen Zeitaltern Platz. Ein bei jedem Hören umfangreicher werdender Reichtum an Musik entsteht. Statt per durchgehend von thematisch-linearer Logik getriebener Teleologie: die Idee eines, wie Peter Gülke sagt, „objektlosen, aus sich selbst bewegten Flusses.“ Rudolphs Inthronisation findet am 9. März 1820 statt. Die Missa ist Anfang 1823 fertig.

Zitat aus meinem Beethoven-Buch: »Als er sich Anfang 1819 an die Arbeit macht, mag er ahnen – er hat ›immer das Ganze vor Augen‹ –, es wird etwas länger dauern als geplant. Er beschäftigt sich von ›den Mönchen‹ (Kirchentonarten) bis zu Palestrina, von Bach und Händel bis zu Haydn mit allem, was er in den Bibliotheken des Kaiserhofs, des Hauses Lobkowitz und Erzherzog Rudolphs an Noten ›aller christkatholischen Psalmen und Gesänge‹ findet.« Und begegnet in den alten Partituren ihm bis dato mehr vom Hörensagen bekannten musikalischen Möglichkeiten. Es scheint ihm offenbar ausgeschlossen, sich ihrer wie gewohnt – nämlich mit »thematischer Arbeit« sowie mit allgegenwärtiger Polyphonie – zu bemächtigen. Nachahmen oder Zitieren ist – mit Ausnahme zweier Händel-Stellen – keine Option. Ihm kommt zugute, dass er großen Meistern der Vergangenheit wie Pérotin, Buxtehude oder eben Händel an kompositorischer Größe in nichts nachsteht, und er schreibt in ihrer aller Geist auf ihrer Höhe einen Beethoven, den es vorher nicht gab und nachher nicht noch einmal geben würde. Der von ihm bis an seine Grenzen entwickelte Typus einer sinfonisch-oratorischen Ausspinnung der Idee des Sonatenhauptsatzes – ihr Meisterwerk das Finale der Neunten – macht einer prallen und ungewohnt oft homophonen Vielfalt unterschiedlicher Genres, Stile, Idiome und Tonfälle aus vielen Zeitaltern Platz. Ein bei jedem Hörr Reichtum an Musik ent

G. B. Tiepolo

In ihr muss man nicht bis zum Chorfinale warten, bis Beethoven die Assoziationen an Deckengemälde Michelangelo Buonarottis oder Giovanni Battista Tiepolos weckenden chorsinfonischen Himmelsklanggewölbe aufspannt. Ein ruhig schönes Kyrie lang steht Beethovens Lehrer Haydn von fern noch einmal Modell. Dann geht es im Gloria mit Pauken und Trompeten richtig vollchor los. Ehre sei Gott in der Höhe, preisen die Engelsscharen. Dann, im tiefen Bass, piano auf einem Ton fünf Takte mittelalterlich mönchisch, melden sich mit dem Wunsch nach Frieden die Erdenbewohner zu Wort. Eine kaum bemerkliche musikhistorische Rolle rückwärts. Die Missa ist voll von solchen Kontrasten und Sprüngen. In ihnen, so die konservative Deutung, geht es gemäß dem vom Komponisten strikt befolgten liturgischen Text durchweg um den Gegensatz von Gott und Mensch, Oben und Unten. Der mit einem Riesenaufgebot an vokalen und instrumentalen Stimmen aufwartenden Fuge desselben Gloria könnte man allerdings auch entnehmen: Der da so prachtvoll und schwungvoll die Allmacht Gottes beschwörende Komponist ist Teil einer Menschheit, in der es selbst schon ein Oben und Unten gibt. Beethoven als einer der Unteren steckt als ihr Urheber zugleich selbst in der klingenden Darstellung höherer Allmacht. Dass er selbst allmächtig wird, indem er sie Klang werden lässt, ist republikanisch gedacht. Insofern auch die Chöre der sechsflügeligen Cherubim in der Himmelshierarchie zu den Unteren gehören, könnte man die herrlichen Töne des dreieinigen Oben in der Missa als Projektionen hören. Der Bürger Beethoven hätte in ihnen noch in der Zeit nach dem Wiener Kongress die grenzenlose Zukunftsgewissheit des aufgeklärten Teils seiner Klasse in Musik aufbewahrt.

Apropos Tiepolo. Mir ist es früher beim Hören der Missa gegangen wie beim Betrachten des Deckengemäldes im Treppenhaus der Würzburger Residenz. Ich war erschlagen von der Fülle ästhetischer Reize und nahm erst einmal gar nichts wahr. Die Lösung: näher heran. Im Auditiven bieten die vielen Mikrophone einer CD-Aufnahme diese Möglichkeit. Selbst im Konzertsaal – je kleiner (bis zu einem gewissen Grad), desto besser – lässt darüber hinaus der je charakteristische Klang der alten Instrumente ihre Trennung und Interaktion in Orchestergruppen deutlicher hervortreten als bei modern-konventioneller Instrumentation. Dirigent Jacobs sorgt mit bewusster Steuerung der Klangbalance für weitere Durchhörbarkeit. Als ehemaliger Sänger hat der Belgier ein Händchen auch für die Einbettung der Vokalstimmen in den Instrumentalklang.

Er führt das Oben und Unten und die vielen aus ihm resultierenden Diskontinuitäten der Missa zu einem plausiblen Hörerlebnis zusammen. In den mir bekannten Aufnahmen und Aufführungen – mit Ausnahme der von Michael Gielen – vermisste ich gerade den Eindruck ästhetischer Geschlossenheit. Jacobs demonstriert sie besonders glücklich im Benedictus. In kaum einer anderen Passage scheint es so schwierig, die unterschiedlichen Dimensionen und Energien der die Missa Aufführenden sinnvoll zu organisieren. Am meisten zu kämpfen mit einem gewissen Befremden seitens des Publikums hatte wohl immer die solistische Geige im Benedictus. In Jacobs’ Neuaufnahme überzeugt die Konzertmeisterin Anne Katharina Schreiber vom ersten Ton an. Von den Flöten weiß gehöht, fliegt sie in den Sphären eines dreigestrichenen g aus dem wie ein Orgelchoral farbig präsenten Präludium ein und schwebt in Sekundschritten herab in ein über lange Strecken auch in den Chor- und Orchesterpartien kammermusikalisch wirkendes Geschehen. Man verstand das Geigensolo lange Zeit als Violinkonzert innerhalb der Messe, man hat es so interpretiert: mit ebensoviel Emphase wie virtuosem Glanz. Aber trotz vermeintlicher Klangverstärkung durch heftiges Vibrato schaffte es die Geige kaum je, mit all ihrer von Beethoven verliehenen melodiösen Grazie nennenswert aufzutauchen aus dem, wie es schien, immer zu groß dimensionierten Chor- und Orchesterklang. Schreiber dagegen muss sich nicht größer machen, als sie ist. Sie übernimmt – non vibrato und unangestrengt – eine besondere, nämlich die Geigenstimme unter fünf solistischen Gesangsstimmen und singt ihren – sagen wir: konzertant ariosen – Ensemblepart eben nicht mit der Kehle, sie singt ihn, immer gut wahrnehmbar, mit Geigenkorpus und Bogen und steht zu dieser Art Besonderheit auf eine Weise, die sich musikalisch einem Klangorganismus anverwandelt, der ihr allerdings dank Jacobs genau den Raum lässt, den sie um ihrer Wirkung willen braucht. Ein wohlig heiliges Schunkeln. Die sich in so vielen Missa-Aufführungen zwischen Hörende und Musik schiebende Monumentalität kommt nicht auf: Man fühlt sich »näher dran«, die Missa wird – fasslich.

Eine Kirche für sich

Die im Zusammenhang mit speziell diesem Werk immer wieder auftauchende Frage nach Beethovens Gottesverständnis beantwortet Jan Assmann unter anderem so: »Nachdem ihm klar geworden war, dass er die Messe nicht rechtzeitig (…) fertigstellen konnte und er sich vom Gedanken an eine liturgische Aufführung im Rahmen des Festgottesdienstes verabschieden musste, fühlte er sich frei, (…) seine Messe nicht (nur) für den Gottesdienst, sondern (auch) für einen beliebigen Konzertsaal zu komponieren (…). Zugleich kam es ihm aber darauf an, seine Messe so intensiv und exzessiv mit religiösen Emotionen gleichsam aufzuladen, dass sie sich in Kopf und Herzen der Zuhörer als ein sakraler Vollzug ereignen und den Konzertsaal in einen sakralen Ort verwandeln konnte.« Im Begriff »religiös« verschwimmen die Grenzen zwischen Kirchenwelt und Menschenleben. Beethoven war im Sinn einer Art Haltung – nicht eines Inhalts – »religiös«, die auch Atheisten kennen und schätzen. Er war, obwohl durch die Bonner Hoforganistentätigkeit in seiner Jugend mit der Liturgie bestens vertraut, kein Kirchgänger. Mit dem Musikautor Max Kalbeck könnte man leicht kantisch sagen: Beethoven war sich selbst Kirche genug.

Es gab schon in seiner Zeit verschiedene Formen des Glaubens, den Pantheismus Goethes, fernöstlich angeregte Spielarten der Spiritualität, agnostische Sichtweisen. Der vom Weltbild der Aufklärung erschütterte Gott, an den sich der alte Beethoven in seinen persönlichen Aufzeichnungen und im Schlusschor der 9. Sinfonie öfter zu wenden scheint, war längst nicht mehr identisch mit dem autoritär obrigkeitlichen Gott der Christenheit. Beethoven stand am Beginn einer Entwicklung, an deren Ende niemand damit, dass sie oder er »mein Gott« oder »in Gottes Namen« seufzt, in den Verdacht gerät, religiös zu sein. Recht nah an Beethoven heran dürfte, die Glaubensfrage betreffend, Felix Mendelssohns Vater gekommen sein, sechs Jahre jünger als Beethoven. Er schrieb in einem Brief an seine Tochter Fanny: »Ob Gott ist? Was Gott sei? Ob ein Teil unserer selbst ewig sei und, nachdem der andere Teil vergangen, fortlebe? Und wo? Und wie? – Alles das weiß ich nicht und habe Dich deswegen nie etwas darüber gelehrt. Allein, ich weiß, dass es in mir und in Dir und in allen Menschen einen ewigen Hang zu allem Guten, Wahren und Rechten und ein Gewissen gibt, welches uns mahnt und leitet, wenn wir uns davon entfernen. Ich weiß es, ich glaube daran, lebe in diesem Glauben, und er ist meine Religion.«

So entschieden gründlich Beethoven mit dem Messetext umging – anders als Schubert in allen seinen Messen komponierte er auch das Bekenntnis zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche mit –, so konsequent erdet er in seiner Vertonung die sich im Himmel verlierenden Formeln der Kurie. Beethovens sogenannte heroische Periode endete nach verbreiteter Ansicht 1812. Aber als er ab 1819 an der Missa arbeitet, hat der Modus seiner Vertonung der kirchenheiligen Schrift schon mit Beginn des Glorias und des Credos und an anderen Stellen einen Zug, den man mit Fug erneut »heroisch« nennen dürfte. Da strömt in der Musik – so kann man es hören, so scheint es Jacobs’ Interpretation nahezulegen – eine Vielzahl von Aktivisten hochgemut kraftvoll auf etwas abgemacht Wünschenswertes zu.

Jan Assmann ist wohl nicht der einzige, dem im Credo auffiel, dass Beethoven mit der Auferstehung Christi und der Toten offensichtlich wenig anfangen konnte. Er widmet den diesbezüglichen vier Zeilen des Textes sieben Takte. Auf die letzte einzige Zeile aber – et vitam venturi saeculi (und das Leben der kommenden Welt) – komponiert er in knapp 170 Takten eine der schönsten und musikalisch interessantesten der unsterblichen Fugen seines Spätstils – »das Credo, das Credo mit der Fuge«, jauchzte aus ihrem Anlass Thomas Mann in seinem »Faustus«-Roman. Die je nach Missa-Text von unten nach oben und umgekehrt so auch am Ende des Credos durch die Stimmen laufenden Skalen erinnern Assmann an Jacobs Traum im Buch Genesis. »Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte. Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder.« Aus Himmelsleitern macht Beethoven Tonleitern. Muss man das Schrifttum von Augustinus bis Ernst Bloch kennen, um in den biblischen Bildern vom Verkehr zwischen Himmel und Erde mit Beethoven den Traum von »der kommenden Welt« zu ahnen? »Religion«, sagt Schleiermacher, von Assmann zitiert, sei »Sinn und Geschmack fürs Unendliche«. Noch ein schöner Anhaltspunkt fürs Nachdenken über Beethovens Art von Religiosität.

Eine Messe für den Frieden

Im abschließenden Agnus Dei der Showdown alles Unteren. Beethoven beschreibt im Miserere in h-Moll, seiner »schwarzen Tonart«, das irdische Elend, jesuitisch schlau verknüpft mit Peccata mundi, der Schuld der Welt: Kein Wunder, Welt, wer sich so übel beträgt, wird mit irdischer Not – womit auch die erklärt wäre – nicht unter einer Ewigkeit bestraft! Adagio. Finster und lastend. Getragen. »Die Musik stellt nicht dar, sie bildet nicht ab«, stellt Jan Assmann fest. »Sie vollzieht, ist nicht objektivierende Darstellung, sondern dramatisierender Ausdruck des Gegenstands.« So könnte man René Jacobs’ Lesart der Missa beschreiben. Auch die Hörenden vollziehen nach. Jede und jeder anders und jedesmal anders, aber immer: aufregend zu allerlei Gedanken.

Man weiß nicht, was beglückender wäre: das in seiner Lebendigkeit zum Niederknien an Rembrandt erinnernde Dunkel des Qui tollis. Oder die fröhliche Leichtigkeit des folgenden Allegretto vivace. Jacobs weist im Booklet-Gespräch mit dem FBO-Dramaturgen Martin Bail darauf hin, dass Leopold Mozart ein Allegretto vivace als »artig, tändelnd und scherzhaft« charakterisiert habe. Ein Siciliano-Rhythmus »im Sechsachteltakt; viele witzige Begleitfiguren und spielerisch-leichte Sechzehntelläufe«. Jacobs: »Ein Friedensfest.« Klar, mit dem Dona nobis pacem ist der Schluss der katholischen Messe erreicht. Noch einmal soll sich, dafür ist wie eine Art Mediator zwischen Oben und Unten der Gottessohn zuständig, der Himmel der durch eigene Schuld ins Elend geratenen Menschheit erbarmen, er soll ihr den Frieden gewähren. Die Unteren feiern in wunderlicher Fröhlichkeit etwas, in das bei Beethoven dreimal sein Gegenteil hereinbricht, der Krieg. Auf Bails Frage, ob die Missa am Ende »eine Messe für den Frieden« sei, antwortet Jacobs: »Ich glaube, ja.« Entsprechend bildhaft gelingt dem Dirigenten die Musik an jener Stelle, an der der Krieg hereinbricht; er inszeniert sie theaterhaft als Hörbild einer in abnehmender Dramatik dreimal mit Pauken und Trompeten – beim letzten Mal fast drollig kleinlaut – wiederauftauchenden Aggression und macht die Missa so am Ende zu einer zutiefst irdischen Angelegenheit. Das Dona nobis pacem gerät nicht allein zum Friedensfest, es wächst von der frommen Bitte einer demütigen Gemeinde zur lateinischen Fassung der Forderung einer kämpferischen Menschheit heran: »Peace now!«

Die Rezeption

Wie ihre Vergleichsgröße, Bachs h-Moll Messe, hat es Beethovens Missa zwar aus der Liturgie in den Konzertsaal geschafft. Anders als Bachs Großtat ist sie bis heute nur nicht im Repertoire angekommen; sie erscheint auch 200 Jahre nach ihrer Entstehung relativ selten in den Spielplänen. Die Leute wissen am Ende offenbar ebensowenig wohin mit der Missa, wie die Musikwissenschaft bis heute an ihr zu beißen hat. Die bemerkenswerteste Extrawurst in der Debatte um Beethovens nach eigener Einschätzung »größtes Werk« briet der ansonsten mit einem herausragenden (fragmentarischen) Beethoven-Buch hervorgetretene Theodor W. Adorno. Ihm erschienen die Missa-Debatten als Streit um des Kaisers Bart, die Missa als Missgriff. Vor allem im Hinblick auf Igor Strawinsky waren »neoklassizistische« Rückfälle für Adorno als dem Propagandisten des Fortschritts in der Musik ein ästhetisches »No-Go«.

Der russische Neutöner war nach dem Ersten Weltkrieg nicht der einzige, der sich im globalen Trümmerfeld auch der Kunst für eine Weile im Gewesenen umschaute. Noch ausgeprägter neoklassizistisch zeigte sich Pablo Picasso. Er hatte mit den »Demoiselles d’Avignon« knapp ein Jahrzehnt vor dem August 1914 »das« erste Gemälde der Moderne geschaffen, begann aber während des Kriegs plötzlich – parallel zum kubistischen Aufbruch in ästhetisches Neuland –, große und schöne, in ihrer klaren Rundlichkeit an der Antike orientierte Frauengestalten zu malen.

Beethoven, seit langem mit Werken wie der Eroica auf »neuen Wegen«, hatte die Schreckenszäsur des Wiener Kongresses 1815 zu verkraften. Er komponierte nach einer längeren Schaffenskrise kurz vor der Missa mit der Hammerklaviersonate ein Werk, von dem er, sich leicht verschätzend, seinem Verleger gegenüber vermutete: »Die wird noch in fünfzig Jahren gespielt.« Sie war ein musikalischer Quantensprung, noch heute vielen ein Rätsel. Ein Jahr später begann die Arbeit an der Missa. Ihr folgte das durchweg avantgardistische Alterswerk.

Ist es wirklich verwunderlich? Wer sich so weit in die Höhen seines Metiers hinaufbegibt, hat – zugespitzt in Zeiten großer Krisen – das Bedürfnis, sich umzuschauen und zurechtzufinden, um sich schließlich zu verorten im zum Schwindeligwerden geweiteten Entwicklungsraum um sich herum. Erst danach ist ein Weitersteigen möglich. Darüber, wieviel Modernität die dabei entstehenden Werke ihrerseits wieder enthalten, wird auch in Zukunft nachzudenken sein. Und sie werden weiterhin Gegenstand sein auch von so einladend angemessenen Interpretationen wie der Neuaufnahme der Missa solemnis Beethovens aus Frankreich. junge Welt, April 2021

CDREVIEWS

Köthener BachCollektiv.Midori Seiler et al.

Es stellen sich den Musikern in der sogenannten „klassischen Musik“ immer wieder die gleichen Fragen. Die Geigerin Midori Seiler (bitte nicht zu verwechseln mit der US-amerikanischen Geigerin mit dem gleichen Vornamen als Künstlernamen) stellt sich solche Fragen in ihrem neuen Album „Bach’s Virtuosos“ gleich zu Beginn: „Wer bin ich, wenn ich spiele“, fragt sie im Booklet. „Wie ist meine Beziehung zur Komposition, zur komponierenden Person?“

MIdori Seiler

Die komponierende Person Bach hat in Vorahnung solcher Probleme seinen Text mit einer in seiner Zeit umstrittenen Fülle von Ausführungsanweisungen versehen. Die Virtuosen des 18. Jahrhunderts waren gewohnt, den Raum, den ihnen die vorliegenden Noten ließen, mit eigenen Verzierungen und Überleitungen zu füllen und im Verständnis des Publikums die rudimentäre Komposition auf diese Weise erst zu vollenden.

Das Wissen um die damaligen Spielkonventionen, in deren Rahmen solche Vervollständigungen stattfanden, ist verlorengegangen. Die neue CD erzählt davon, wie historisch-kritisches Musizieren auf alten Instrumenten im Zug der Wiederherstellung dessen, was nicht in den Noten steht, den „kulturellen Kontext“ einbezieht, in dem Bachs Köthener Schaffen (Brandenburgische Konzerte, Cello-Suiten, Partiten und Sonaten für Violine solo, Goldberg Variationen) entstehen konnte.

Das Köthener BachCollektiv wurde 2016 eigens für die alle zwei Jahre stattfindenden Köthener Bachfesttage gegründet. Es musiziert das einleitende Violinkonzert von Joseph Spiess, die Suite von Georg Linike und die das Französische mit dem Italienischen legierende Sonate für zwei Violinen von Augustin Reinhard Stricker – alle drei Musiker waren Bachs Köthener Hoforchesterkollegen – so virtuos, geladen mit so volkstänzerischem, italienisierendem Impuls und Charme, dass die verbreitete Mäkelei, da würden doch nur wieder mal langweilige Nebenwerke ausgegraben, im Keim verstummt.

Der geradezu experimentelle Charakter dieser Produktion tritt in den beiden Bachwerken hervor. Auch sie keine „Originale“. Midori Seiler, zusammen mit Mayumi Hirasaki, die Spirita Recta des BachCollektivs, hat Bachs in Köthen komponiertes, aber verschollenes Violinkonzert g-Moll BWV 1056R auf eigene Faust, mit viel Fleiß, Intuition und Risiko für die Geige rekonstruiert; so machten es mit eigenen und fremden Werken zur Bachzeit alle Komponisten. Das auf begleitenden Pizzicati der Bässe gesungene Largo, man hat es als Oboensolo aus der Sinfonia der Bachkantate BWV 156 im Ohr, gelingt ihr in kunstvollen Verschleierungen der Dynamik besonders anrührend. Eigentümlich auch der langsame Satz des Bachkonzerts für drei Violinen und Streicher D-Dur, von Seiler, Hirasaki sowie Georg Kallweit von der berliner Akademie für Alte Musik kollektiv nach der erhaltenen Transkription von Bachs Hand für drei Cembali als BWV 1064R wiederhergestellt. Da schwebt ein Terzett kaum verzweigter solistischer Streicher überm harmonisch sparsam aufgefüllten Bass. Gedehnte Lamento-Stimmung. Sie löst sich im abschließenden Allegro in einen, an Bachs berühmtes Doppelkonzert d-Moll erinnernden, schwungvollen Kontrapunkt. Gelungenster Ausdruck für die für Bach so erfreulichen, kreativen sechs Jahre am musikliebenden, kirchenfernen Köthener Hof ist am Ende von BWV 1056R das energiegeladene, immer neu von einem feinen Echo-Effekt gebremste Presto.

Concerto BWV 1056R – II: Largo

Die Barockmusikszene – mit kräftigen Trieben auch schon im Mozartbeet – hat sich zu einer eigenen Welt ausgewachsen. Sie erweist sich in dieser Aufnahme einmal mehr als Dynamo einer der Repräsentation erlegenen, auf einen kleinen Teil „toter Komponisten“ (Enno Poppe) reduzierten Klassikwelt. Die Geigenstars der Barockszene touren nicht im langen Silbernen über die Solisten-Bühnen. Durchweg weiblich, arbeiten sie oft als Konzertmeisterinnen kleiner Spezialensembles. Es hat bei ihnen eben nicht gelangt für die große Karriere, sagt der Mainstream. Umgekehrt. Was die Wahrnehmung der Besonderheit von Musikerinnen wie Midori Seiler, Mayumi Hirasaki oder etwa auch Daniela Helm angeht, langt es beim Mainstream nicht. junge Welt, April 2023

Bachs Virtuosos: Joseph Spiess, Augustin Reinhard Stricker, Georg Linike + 2 Bach-Bearbeitungen BWV 1056R – Midori Seiler / Mayumi Hirasaki / Freiburger Barockorchester (Harmonia Mundi France)

CDREVIEWS

Mit Harnoncourts beim Obauer.

Nikolaus Harnoncourt (1929-2016) im schönen Restaurantgarten in Werfen (rechts der blutjunge Autor).

Beobachtet man die Harnoncourts bei der Arbeit – ihn auf der Bühne mit einem Spitzenorchester, sie im Parkett mit den Noten auf den Knien –, merkt man ihnen nicht an, dass sie genau wissen, wo es ihnen schmeckt. Aber am Telefon auf die Frage, wo wir uns zum Essen treffen wollen, antwortet Alice Harnoncourt wie aus der Pistole geschossen: „Im Obauer in Werfen!“

Werfen liegt im Pongau, ein Filetstück alpiner Landschaft, halbe Stunde südlich von Salzburg, an der Salzach, zu Füßen des Tennengebirges. Einen richtigen Hutmacher gibt es dort, Filz und Gamsbart im Fenster, einen Handschuhmacher vier Häuser weiter. Ein österreichischer Kapellmeister, möchte man meinen, sollte entsprechend aussehen, Janker, Jagerhut und Knotenstock. Aber nichts da. Die Fotos auf seinen CD-Covers lügen nicht. Groß und gerade ist er, nicht dick, aber schwer und eher o.k. als k.u.k.

Die Augen quellen leicht hervor, wie er so in den Pongauer Abendhimmel blinzelt. Sie wirken hell und empfindlich, für Momente fast stechend, ängstliche Menschen missverstehen das oft. Der Fotografin zuliebe hat er die Sonnenbrille abgenommen. Büsche und Baumkronen dämpfen das Licht, es sprenkelt fleckige Schatten auf gebügelte Tischdecken, Gläser, unberührte Teller. Harnoncourts Hemd hat einen sportlichen Kragen, die Leinenhose ohne Gürtel. Die Gattin im türkisenen Kleid mit angesetztem Blumenmusterrock, schaut auf die Uhr: „Pünktlich, nicht wahr?“

Schon sitzen sie am Tisch rechts von der Tür. In Erwartung der Speisekarte hängt sich der Dirigent die Lesebrille um den Hals. Doch statt der Karte kommt Karl Obauer, zusammen mit seinem Bruder Rudolf Herr im kleinen, überaus feinen Haus in Werfen. „Erinnern Sie sich an unseren letzten Besuch?“, fragt der Gast, der mindestens alle zwei Jahre herkommt, das letzte Mal nach einer Bergtour mit den Enkelkindern hinauf in die Ostpreußenhütte, elfhundert Höhenmeter von unserem Tisch entfernt. „Ich bitt‘ Sie“, entrüstet sich der Wirt auf landesübliche Weise liebenswürdig. Nikolaus Harnoncourt ist eine Institution in Östereich, zusammen mit Arnold Schwarzenegger einer der wenigen Weltstars des kleinen Alpenlands – den vergisst man doch nicht!

Das Amuse-bouche lässt ahnen, wofür das Obauer berühmt ist: edelst Regionales, Kalbsmilzpaste auf getrocknetem Schwarzbrot, hausgemachte Lammwurst, Auberginen-Sardellen-Creme und Schnecken, sie erinnern Alice Harnoncourt an den Ärger im eigenen Garten. Auf die unvermeidliche Frage, ob es Mineralwasser mit oder ohne „Bitzel“ sein solle, wünscht sich der Musiker Leitungswasser. „Das Wasser in Wien“, schwärmt er, „kam bis vor kurzem aus dem Hochschwabgebirge. Obwohl sie es heute mir Grundwasser mischen, schmeckt es immer noch phantastisch. Die Leut‘ waschen ihre Autos damit – und trinken Mineralwasser.“

Nicht allein das Wasser ist Nikolaus Harnoncourt in Wien gut bekommen. In der Donaumetropole begann vor über vierzig Jahren seine Karriere, zunächst als Solocellist bei den Wiener Symphonikern. Sein Probespiel damals beobachtete der Chefdirigent persönlich, ein gewisser Herbert von Karajan. Dessen Einstellungsbegründung: „Wie der sich hinsetzt, haben Sie das gesehen – den nehmen wir.“ Unvergesslich für den Orchestermusiker Harnoncourt auch die Abende, an denen Karajans Intimfeind Furtwängler im Saal saß. „Mit Karajan ging dann etwas vor. Die Stellen, die sonst immer dunkelgrün klangen, die sollten plötzlich glutorangen leuchten.“

Die Seewolf-Lasagne, die jetzt kommt, leuchtet goldgelb, ein schimmerndes Medaillon, deutlich auf dem Teller, kein Zierat, kein Blendwerk, nur Saft und Inhalt, Minze, Basilikum, Tomaten, eine Sauce vom grünen Veltliner. Wollte man Schmaus und Hörgenuss vergleichen: So etwa klingt Harnoncourt Art, klassische Musik anzurichten. Ganz anders als weiland Herrn von Karajans musikalische Präsentierteller.

Er sitz aufrecht beim Essen. Unvorstellbar, dass er sich aufstützt am Tisch. Obwohl die dunkelrauhe Stimme nicht eben leise ist, erregt er, schwungvoll aber uneitel gestikulierend, kein Aufsehen. Er isst langsamer als seine Frau. Deren Art, sich im Schatten ihres Mannes zu bewegen, erlaubt ihr Überblick. Sie wirkt mädchenhaft, lässt kaum ein Auge von ihm, sie ist immer dabei und versieht alle Aufgaben, von der Garderobiere und Physiotherapeutin bis zur Managerin.

Alice Harnoncourt ist eine vorzügliche Geigerin. Sie arbeitet bis heute als Konzertmeisterin des Concentus Musicus, den Nikolaus Harnoncourt 1953 – „gleich nach der Hochzeit“ – mit ihr gegründet hat, um neben dem Orchesterdienst klassische Musik auf den Instrumenten der Entstehungszeit der Musik aufzuführen, damals eine Sensation.

Bis 1969 hielt er es bei den Wiener Symphonikern aus. Dann war Schluss. „Es war nach einer dieser grauenvoll spätromantischen Aufführungen der Matthäuspassion.“ Wie um den Zuckergeschmack damaliger Barockkonzerte hinunterzuspülen, nimmt er zwei Schluck frisches Quellwasser und schaut über die Gartenbäume hinauf auf Gipfelzacken im Abendlicht. „Nennen Sie es Midlife-Krise, nennen Sie es künstlerische Konsequenz – ich hatte keine Lust mehr, Abend für Abend etwas zu machen, was ich für falsch hielt.“ Er kündigte, dirigierte von Stund an. Und machte alles anders.

Es gab keine Angebote. Er war vierzig und Familienvater. Wie nebenbei hatte Alice Harnoncourt bis dahin vier Kinder zur Welt gebracht, drei Mädchen und einen Jungen. Nikolaus Harnoncourt hatte Glück. Das erste Angebot kam gleich von der Scala in Mailand, er hatte Erfolg. Etwas an ihm begeisterte die Menschen. Und der neuartige Klang der mit Darmsaiten bespannten Geigen, der ventillosen Trompeten und Hörner, der mit Leder statt mit Plastik bespannten, mit bloßen Holzschlegeln traktierten Pauken des Concentus passte ins kulturelle Klima der 1968er Jahre, er provozierte einen neuen Klassikstil. Der Muff von 200 Jahren Bach- und Mozartinterpretationen war wie weggeblasen.

Als ich ihm von Mozarts Lieblingsessen, dem gebackenen Kapaun erzähle, neigt er sich etwas tiefer über die Brennnessel-Graukäseknödel-Suppe, die wir inzwischen essen. Woher ich das habe? Harnoncourt wühlt gewohnheitsmäßig in alten Autographen, Briefen, Dokumenten, bevor er die erste Note eines für ihn neuen Werks dirigiert. „Man weiß nie, ob etwas stimmt“, sagt er, und seine Rechte fegt Brotbrösel vom Tisch. „Ich kenne das aus meiner Familie. Da soll ich mit sieben Jahren einmal gesagt haben, ich mag Früchtebrot. Alle glaubten es. Meine Mutter – sie ist sechsundneunzig – hat mir bis vor vier Jahren jedes Jahr im Dezember zum Geburtstag Früchtebrot geschickt. Ich mag gar kein Früchtebrot. Aber sie ist überzeugt, es ist meine absolute Lieblingsspeise.“

Mütterlicherseits stammt er in direkter Linie von den Habsburgern ab. Der Ururgroßvater war Erzherzog Johann, der eine Postmeisterstochter heiratete und damit seiner Nachkommenschaft den Erzherzogtitel verscherzte. Der Großvater besaß eine große Jagd in der Steiermark. Der Enkel wohnt heute in St. Georgen bei Graz, wo er schon seine Jugend verbracht hat. Ab und zu besucht er die Familie in einem großen Schloss. „Ich sitze dort immer wieder gern an der Tafel. Die absolute Kennerschaft dieser Gesellschaftsschicht hat mich schon als Kind beeindruckt. Dort gab es Auerhahn, so ziemlich das Beste, was ich je gegessen habe. Es gibt überhaupt nur zwei, drei Leute in Österreich, die das wirklich gut zubereiten können.“

Fotos: (C) Uta Rauser

Das Rehrückenfilet mit Gebirgswermut-Sauce, Vogelbeeren und Selleriepüree, das die Kellnerin jetzt behutsam vor den Dirigenten hinstellt („Bitte sagen Sie nicht Maestro“), ist meisterlich zubereitet. Die kräftigen Hände, die sonst – übrigens ohne Stöckchen – Beethoven und Schuberts Takte zerteilen, widmen sich nun ebenso präzis drei zarten Scheiben Wild. Ein Glas Rotwein dazu? Sehr recht, einen weichen, typisch österreichischen Blaufränkisch vom Neusiedlersee. Aber nur eines. Frau Harnoncourt bietet an, die zwei Stunden Rückweg n die Steiermark zu fahren. Nicht nötig. Es wird bei einem Glas Roten bleiben.

Das Aristokratische hat Nikolaus Harnoncourt abgetan wie die Gürtel in seiner Hose. Schon sein Vater tanzte aus der Reihe. Dessen Stammbaum ging auf die Harnoncourts im einstigen Dreiländereck Belgien-Frankreich-Lothringen zurück. Die Familie kam, als Franz von Lothringen Kaiserin Maria Theresia heiratete, im 18. Jahrhundert in die Steiermark. „Sie können den Namen übrigens aussprechen, wie Sie wollen: mit oder ohne H am Anfang, ich sprech‘ ihn ja selbst nie aus.“ Warum nicht? „Ich geh‘ nicht ans Telefon.“

Harnoncourts Vater wünschte sich glühend, Musiker zu werden – unmöglich für einen Adeligen jener Zeit. Er wählte den Beruf, der, wie er meinte, am meisten mit Musik zu tun hatte: Er ging zur Marine. „Der Franz Lehár war ja auch bei der Marine. Auf jedem größeren Schiff gab’s ein Orchester, jedenfalls in Österreich.“ Leider begann, kaum dass der Vater sich solch einer Bordkapelle bemächtigt hatte, der erste Weltkrieg. Da schwieg die Musik. „Und als es vorüber war, war das Wasser weg.“ Soll heißen: Österreich hatte alle Zugänge zum Mittelmeer verloren.

„Nach dem Krieg war die Familie dann so verarmt“, erzählt er und Witz blitzt in den hellen Augen, „dass dem Großvater 1924 eine Bedienstete ohne sein Wissen das Frühstücks-Gulasch bezahlte. Er war nämlich der Ansicht, dass er ohne Frühstücks-Gulasch nicht leben konnte.“ Sein Enkel wird jetzt den Schwarzbeernocken gerecht, unser Dessert, in der Pfanne gebacken, eine Pongauer Spezialität. „Ist denn noch Schwarzbeerzeit?“, fragt der Dirigent die Kellnerin. „Nicht mehr lang.“

Vor einiger Zeit bekam er einen Brief aus Rom, mit auserlesen geschmackvollem Briefkopf, von einem „Taster of Wine“. Der Römer wollte wissen, ob seine, des Römers, Methode zur Beurteilung der Entwicklung von Weinen analog auf die Entwicklung klassischer Musik anwendbar sei. Harnoncourts Methode, Mozart, Beethoven oder Schumann auszubauen, hatte es ihm offenbar angetan. Auf eine vorsichtige Antwort aus St. Georgen kam aus Rom eine hölzerne Kiste mit zwei Flaschen Wein, zwei Gläsern und einem Brief. „Er gab mir genaue Anweisungen, was ich nach jedem Schluck beachten sollte. Fünf Stunden vor der Verkostung dürfe ich nichts mehr essen. Ich solle den Wein beim Verkosten unbedingt auf einen Glastisch stellen, mit einem Licht darunter.“

„Und: haben Sie’s gemacht?“ Harnoncourt schmunzelt, er nippt vorsichtig am Blaufränkisch: „Offengestanden – ich trau‘ mich nicht.“ Essen und Trinken, 5/97

PERLEN AUS DEM ARCHIV

Zweierlei Goldbergvariationen.

Hier lebte Bach 1717 bis 1723: Köthener Schloss

Noch drei Jahre, dann sind es siebzig Jahre her, dass, damals sensationell, die Goldbergvariationen aus der ehrwürdigen Nische von Wissenschaft und Bildungsbürgertum auferstanden und erstaunliche Teile einer etwas größeren Welt eroberten, als es die der klassischen Musik ist. Ein seltsam charmanter Musikkauz, Glenn Gould, hatte mit dem Stück die Charts des kapitalistischen „goldenen Zeitalters“ erobert. Er erregte sogar die Bewunderung des systemischen Grantlers und Schwarzmalers der Republik Österreich, Thomas Bernhard. Der schrieb einen ganzen, etwas dünneren Roman über den kanadischen Pianisten mit den ewig kalten Händen.

der junge Glenn Gould

Gould nahm mit seinem Bach-Hit damals Teile der Klassik-Zukunft vorweg: Er entrümpelte und erleichterte den klassischen Musikvortrag von der angstgetriebenen Schwergefühligkeit wahlweise von der klanglich-orchestralen Hochrüstung eines bürgerlichen Jahrhunderts. Ohne von der Idee wohl schon eine Ahnung gehabt zu haben, wurde er damit zum Vorfeld-Aktivisten der dann, ungefähr mit der Studentenbewegung 1968, aus der Versenkung auftauchenden, kritisch leidenschaftlichen historisierenden Aufführungspraxis. Gehört von heute aus, könnte das mit einer Skepsis gegenüber allem Nichtrationalen zusammenhängen. Denn Gould fing, möglicherweise unbewusst antizipierend, in seinen Goldberg Variationen den kalten Zauber, den trockenen Esprit des digitalen Maschinenzeitalters ein.

Bach erscheint vielen natürlich nicht nur schwer zu hören. Ganze Generationen von Tastenkünstlern wissen, wie schwer nun gerade dieses Werk auch zu spielen ist. Besonders gilt das für die musikalisch wie historisch unmittelbar Betroffenen, die Cembalisten; das Werk ist für die Grenzen und Möglichkeiten der Klangwelt und Mechanik ihres Instruments komponiert.

Hinter der Mehrzahl der dreißig Variationen steht „a 1 Clav.“ Hinter vielen auch „a 2 Clav.“ – Bach macht damit darauf aufmerksam, dass letztere auf den zwei übereinander liegenden Manualen entsprechender zeitgenössischer Cembali gespielt werden müssen. Die Stellen, an denen die Spieler, wie Bach es vorsieht, auf einem zweimanualigen Cembalo mit jeweils der einen Hand über die andere greifen wie etwa in der 14. Variation, um die polyphonen Strudel der Musik adäquat darzustellen, seien eine „sehr eingerissene Hexerey“, befand Bachs Zweitältester, Carl Philipp Emanuel, ein exzellenter Clavierist (und Komponist).

Lang Lang

Selbst in der neuen Aufnahme mit dem eingerissenen Klavier-Hexer Lang Lang hört, wer es genau nimmt, dass der überaus virtuose Chinese den Bass der fünften Variation – eine zweimanualige Hommage an Scarlatti – nicht nur so stark betont, weil ein starker Bass in den Goldberg Variationen generell Sinn macht: es scheint, als wolle er damit zugleich die Deutlichkeit bemänteln, mit der auch er die rasenden Sechszehntelläufe der Oberstimme nicht angemessen präzisgehext hinbekommt.

Von den drei Grundmustern der Variationen – Bravour, Charakter, Stilisierung –, mit denen Bach arbeitet, bedient Lang Lang, wen wundert‘s, den virtuosen Typ am überzeugendsten. Auch in der nächsten, der sechsten Variation, einem der von Bach für alle durch Drei teilbaren Variationen-Nummern vorgesehenen Kanons, spielt Lang Lang seine Stärke sowie den Vorteil seines modernen Instruments aus: er setzt die dem Cembalo unmögliche Dynamik des modernen Konzertflügels ein, er spielt laut und leise, er be-tont. Auf dem Video der Aufnahme sieht man, wie seine Fußspitzen das Pedal, wenn denn, meist nur eben berühren. So kehrt er, wo es die Musik plastisch und interessant macht, per Lautstärke und Tastendruck die Basslinie hervor. Denn nicht die melodische Linie der Arie wird in den Goldberg Variationen durchgehend variiert, sondern fast gänzlich die des Basses. Der Bass begleitet nicht mehr nur wie in den damals alten Zeiten – er geht auf Ohrenhöhe mit den anderen Stimmen, er spielt eine Rolle.

Durch die pointiert unterschiedlichen Tonstärken legt Lang Lang gleich die erste Variation darauf an, der Sache einen munter jazzigen Swing zu geben. Das funktioniert umso besser, als das moderne Klavier ohne Pedal auf einen in allen Lagen immer gleichen, opak die Linie betonenden Klang festgelegt ist. Auch das nutzt der Chinese vorteilhaft, indem er an den entsprechenden Stellen hören lässt, wie zwei Stimmen für einige Takte, einige Male sogar hörbar in Terzen, harmonisch zusammengehen. Er weiß, wie Wirkung geht, wer mag ihm die Nutzung solchen Wissens verdenken. Es ist ohnehin nicht verboten, Bach munter, jazzig oder sonst wie wirkungsvoll zu spielen, wenn der Spieler innerhalb bachschen Denkens und der Relationen seiner Zeit bleibt. Dass der, einem extrem fernen Kulturkreis angehörende Pianist aus Shenyang mit allem, was er mit Bach anstellt, bei Unvertrauten für Bach wirbt, kann als ausgemacht gelten und ihm gutgeschrieben werden. Die Frage, wie er als Chinese auf dem modernen Flügel den bachschen Kontrapunkt phasenweise derart stimmig und anregend zum Leben erweckt, beantwortete sich bei einem Telefonat mit Andreas Staier. Der Kölner Cembalist und Hammerflügelspieler hat sich auf dessen Anfrage dreimal mit Lang Lang getroffen. Staier war angetan. Der fernöstliche Weltstar erwies sich als arbeitsbereit hellhörig. „Unterm Strich ist das natürlich eine Art musikalischer Tourismus“, so Staier über Lang Langs Ausflug in die Welt der Goldberg Variationen – freilich, auch der Ausflug in weltferne Regionen kann erfreuliche Ergebnisse zeitigen. Das Wichtigste, so Staiers Riesenkompliment: „Er ist ein sehr guter Musiker“.

Es gibt in den Goldberg Variationen genügend Anhaltspunkte dafür, wieviel Bach an musikalischen Vergnügungen und prall volkstümlichem Spaß gelegen war – der Höhepunkt dessen in den Goldberg Variationen: das aus zwei wahren Volksliedern gemachte Quodlibet anstelle einer letzten Variation. Darüber, wie soviel Frohsinn in der Familie Bach entstehen konnte, berichtet der frühe Bach-Biograf Forkel: „Sie sangen nehmlich nun Volkslieder, theils von possierlichem, theils auch von schlüpfrigem Inhalt zugleich mit einander aus dem Stegreif so, daß zwar die verschiedenen extemporirten Stimmen eine Art von Harmonie ausmachten, die Texte aber in jeder Stimme andern Inhalts waren. Sie nannten diese Art von extemporirter Zusammenstimmung Quodlibet, und konnten nicht nur selbst recht von ganzem Herzen dabey lachen, sondern erregten auch ein eben so herzliches und unwiderstehliches Lachen bey jedem, der sie hörte.“

Lang Lang endet mit dem Quodlibet, er lässt die übliche Themen-Wiederholung in diesem Fall der Aria als der abschließenden Rundung des Zyklus weg und ist damit zumindest auf Höhe der Forschung. Denn ein Autograph der Goldberg Variationen hat sich bis heute nicht gefunden. Im Erstdruck allerdings, den Bach besaß und den er mit vielen Anstreichungen und handschriftlichen weiteren Kanons versah, findet sich die „da capo Aria“ nicht; Bach war’s keines Wortes Wert. Freilich kommt ohne die Aria am Schluss der symmetrische Aufbau des Werks nicht mehr zustande – zweimal 16 Takte (8+8) innerhalb jeder Variation, 2 mal 15 Variationen, plus vorn und hinten das Thema: macht zusammen 32 Nummern.

Andreas Staier spielt die Aria am Schluss. Es macht wenig Sinn, seine Aufnahme der Goldberg Variationen von 2010 mit den Bemühungen solcher Klaviergrößen wie Andras Schiff, Friedrich Gulda oder eben Glenn Gould zu vergleichen, die das Werk auf einem modernen Konzertflügel alle fraglos hörenswert hinbekommen haben. Allzu anders, ja einer anderen Welt zugehörig, klingt Staiers Instrument, ein zweimanualiges Cembalo aus der Werkstatt des Hamburger Cembalobauers Hieronymus Albrecht Hass (1689-1752).

Hass-Cembalo in Brüssel

Es handelt sich, sagt Staier sichtlich stolz, bei den Hass-Cembali um die „größten und an Registern reichsten, die vor dem 20. Jahrhundert überhaupt gebaut wurden“. In ihrer Klangpracht verwandeln diese Wunderwerke der Klavierbaukunst unter Staiers Fingern Bachs Polyphonie aus einer, in der Tendenz trocken rationalen Angelegenheit von Struktur und Logik in ein schillerndes, prickelndes, glitzerndes, ein opulent registerfarbig, durchsichtig fließendes und atmendes Netz feinster, verwirrend reich aufeinander reagierender Tonlinien.

Auf dem modernen Flügel bleiben die einzelnen Stimmen der Variationen bei sich, auch wenn sie miteinander in harmonischen Zusammenhängen stehen. Staier aber auf der Kopie seines alten Cembalo kann sie in Wahrung ihrer Einzelkörperlichkeit auch als Gesamtklangeindruck wirken lassen. Er ist, wie etwa im dreistimmigen Kanon der berühmten 15. Variation, in der Lage, eine Atmosphäre mittelalterlicher Würde herzustellen. In Nr. 16, der Eröffnungs-Variation der zweiten Hälfte, erklingt vielfach punktiert die mit Ausschmückungen und vielen Verzierungen kompakt repräsentative französische Ouvertüre eines Versaille kompatiblen Barockhofstaats.

Die Guten unter den Interpreten auf modernen Flügeln verlegen all ihre Kunst darauf, nicht per Pedal-Dynamik ins Hören und Deuten der Musik Bachs einzugreifen. Derlei ist Andreas Staier schon qua Instrument unmöglich. Substanz und Idee seines Vortrags sehen ohnehin vor, Bach und alle anderen so zu spielen, dass dem lauschenden Ohr – je nach Befinden, Bildung, Welterfahrung – viele Möglichkeiten hörender Auslegung offenstehen.

Andreas Staier

Die 15. Variation ist ein Wunder an kühler Melancholie. Lang Lang gerät sie wie eines von den raren Charakterstücken Mozarts in Moll fürs Soloklavier (Fantasie c KV 475; Rondo a KV 511): Die Oberstimme, verstärkt in der Eigenart des modernen Flügels, lässt, von einer Unterstimme, gefühlt akkordisch begleitet, eine Art Klagegesang hören. In Staiers Lesart legt die Unterstimme, begünstigt durch die Eigenart des Hass-Cembalo, nicht mehr nur begleitend, ein chromatisch durchtränktes, polyphones Stimmgefüge unter die Melodie. Es entstehen schräge Harmonien, fahles Licht, eine skeptische Innerlichkeit. Für die 19. Variation zieht Staier erneut das Lautenregister. Vielleicht ein klanglich festlich illuminierter, imitatorisch beweglicher Tanz vieler Liebender und Freunde? Eine der vielen Reminiszenzen ans angenehme Leben in Köthen.

Die zweistimmige Variation 13 bringt auf den Gedanken, Bach habe das Werk am Fuß endgültiger Reife komponiert. Eine Art Musik – Carl Maria von Weber hat so etwas über Mozarts „Entführung“ gesagt –, die ein Meister nur einmal im Leben schreiben kann: durchglüht sowohl von frischer Jugendkraft, von Unverdrossenheit des Einfalls, wie gleichermaßen vom wachsenden Kalkül und Ernst des gereiften Spätwerks. Ein Werk gelebter Schwelle.

Über seine Entstehungszeit weiß man bis heute wenig. Es wurde 1741 gedruckt, das war’s. Die lustige Anekdote Forkels, nach der die „Goldberg Variationen“ sich dem gestörten Schlafbedürfnis eines Herrn Grafen von Keyserlingk verdankten, dessen Musiklakei, ein gewisser Johann Gottlieb Goldberg, ein Schüler Bachs, ihm mit diesen Variationen Einschlafmusik geliefert haben soll, stimmt hinten und vorn nicht.

Aber die Nummer 13 legt die Vorstellung nahe: da klinge in Bach vollendet noch die Gefühlslage seiner Köthener Zeit (1717-1723) nach. Andreas Steier auf seiner Hass-Kopie lässt einen unbeschwerten Tag arios Revue passieren. Bach hat in Köthen keine Zeile Kirchenmusik schreiben müssen. In Werken wie den „Brandenburgischen Konzerten“, den zweimal je sechs Solowerken für die Geige und das Cello, möglicherweise auch schon in den Anfängen der Komposition der „Goldberg Variationen“, konnte er sich, auf seine unter Zeitgenossen bald schon recht altmodisch wirkende Art, ganz der Lebensfreude widmen, den Galantherien“ und „Gemüthsergetzungen“, die sich, während der alte Bach langsam vergessen war, in Europa ganz im Rokoko, in der Empfindsamkeit   verwirklichten.

Instrumente wie die aus der Hand eines Hieronymus Albrecht Hass beflügeln Überlegungen. Für Menschen des 3. Jahrtausends u. Z. stellt sich mit jeder neuen eigenen Zeit die Frage nach dem Wie des Zugangs zu den immer weiter zurückliegenden Zeiten der Musikentstehung. Die zeitgenössische Komponistin Isabel Mundry stellt im Booklet der Staier-CD zum Siegeszug der alten Instrumente fest: „Bach, Mozart oder Debussy differieren seither nicht mehr nur in ihren kompositorischen Konturen, sondern ebenso in der Klanglichkeit ihrer Instrumente“. Mundry zeigt sich erstaunt darüber, „wie die Interpretationsgeschichte das Verhältnis wechselseitiger Anregung zwischen Klangsprache und Instrumentenklang vorübergehend aus den Augen verlieren konnte“. Ihrem Resümee ist nichts hinzuzufügen: „Die Spanne zwischen der historischen Klangsprache und dem gegenwärtigen Hinhören wird hier zu einer ästhetisch aufgeladenen Erfahrung. Kunstvoll macht Andreas Staiers Spiel erlebbar, wie fein das Netz zwischen Hören und dem Strukturieren, aber auch zwischen Komponieren und Interpretieren gesponnen ist, gerade weil die Differenzen hier gewürdigt bleiben.“ junge Welt, April 2023

J. S. Bach: Goldbergvariationen BWV 988 – Lang Lang (Deutsche Grammophon) – Andreas Staier (Harmonia Mundi France)

PRINTTEXTE

LOHNENDE LINKS

“Flaschenpost” – das war irgendwann einmal Wirklichkeit. Da vertraute an irgendeinem Strand, auf irgendeiner Kaimauer, an der Reling irgendeines Schiffs irgendein Mensch dem Wasser eine verkorkte Flasche mit einer Botschaft an.

Heute sitzt dieser Mensch an den unendlichen Wassern des Internet. Wurden früher vielleicht zehn Prozent aller Postflaschen irgendwo empfangen, kann eins heute die Unendlichkeit der einkommenden Nachrichten nicht einmal mehr nanoprozenthaft wahrnehmen.

Eine nanokleine Auswahl. für Menschen, die des, nur den Krieg als Lösung kennenden und erlaubenden deutschen Medieneinerlei überdrüssig sind (sogenannte Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker).

Liste ausgewählter Plattformen und Foren, die frei sind vom in den Konzern- und Staats-Medien obligatorischen transatlantischen Narrativ.

(nur für den geografischen Überblick; der schwarze Balken oben ist älteren Datums)

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(06. August 2023) Es dauert, bis bei Spiegel, WELT, BILD, bei Tagesschau und Co. der mindestens hundertjahrewährende Kolonial-Hintergrund dessen zu dämmern beginnt, was sich derzeit in Westafrika abspielt, der nicht einmal letzte einer unfassbar langen Kette kolonialer Putsche des Wertewestens im globalen Süden. Und nicht nur dort. Hat denn niemand mehr den Maidan-Aufstand von 2014 In der Ukraine im Gedächtnis? Dort wurde auf dem Kiewer Maidan-Platz eine demokratisch gewählte, verfassungsmäßige Regierung vom wilden Westen weggeputscht. Hat sich damals irgendwer vom Spiegel oder den anderen “Qualitätsmedien” auch nur gemukst? Es ist schon wieder eine Weile her, dass Jens Berger auf den Nachdenkseiten einer der Ersten war, die den Gesamtzusammenhang der Niger-Krise vor dem Hintergrund der Viertelwahrheiten des Spiegel dargestellt haben. Wer dem Publikum, wenn überhaupt, nur erzählt, dass die US-Army 1000 Soldaten in Niger stationiert hat, der und die lügt zwar nicht unbedingt. Verschweigt allerdings, dass diese 1000 Soldaten in der Wüste im Nordosten Nigers eine 100 Millionen Dollar-Drohnenbasis (die größte der Welt) betreiben, die so zentral auf dem afrikanischen Kontinent gelegen ist, dass ihr tödlicher HighTech-Radius von Algerien bis ins südsahaurische Afrika reicht. Das Online-Magazin Linke Zeitung bringt eine dem Niger gewidmete Folge der politschen Amy Goodman Show mit Einblendungen von Experten, die den Namen verdienen, mit ergo entsprechend brauchbaren Informationen über Westafrika.

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(30. 07. 23) Und wer endlich einmal wissen will, wie “Verschwörungstheoretiker” im Original aussehen, wie sie sich bewegen, wie sie sprechen und was sie zu sagen haben, schaue sich die Redebeiträge einer Friedensveranstaltung an, die am 16. Juli 2023 in Mainz stattfand; freilich an einem kurzfristig umdisponierten Ort, weil die Politiker der Stadt aus strikt meinungsfreiheitlich-demokratischen Erwägungen “Verschwörungstheoretikern” den ursprünglich vorgesehenen und angemieteten Saal verweigerten.

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(04.06.23) Donald Trump hat ihn im Juni 2020 vegeblich auf den vakanten US-Botschafterposten in Berlin ernannt. Zuvor scheiterte er als einer der beiden Kandidaten für den Posten des Sicherheitsberaters von Trump. Colonel Douglas McGregor, ein im Irakkrieg dekorierter ehemaliger Oberst der US-Army und Militärtheoretiker, formuliert nicht nur brillant, er denkt auch in Richtungen, auf die man bei einem Fast-Sicherheitsberater eines US-Präsidenten absolut nicht kommen würde. Thema hier: die derzeit die Schlagzeilen beherrschenden Drohnenangriffe auf Moskau, im Hintergrund McGregors Einschätzung der realen Waffenstärke und Wirtschaftskraft Russlands in diesem Stellvertreterkrieg.

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(01.06.2023) Robert Fleischer, Dirk Pohlmann, Mathias Bröckers – die Protagonisten des launigen Dreiertalks auf EXOMAGAZIN.TV, einer “Inspiration für Freigeister”. Wenn wieder mal der mediale Erstickungstod naht – kurz reinklicken.

Dito lohnend Dirk Pohlmanns Drohnenkurzflug durch die Weltgeschichte der Werte des Westens.

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(April 2023) Es sieht aus, als begönnen (Wiglaf Droste) einige Köpfe des Westens so langsam ihr Erinnerungsvermögen wiederzugewinnen. Geht da nun etwa ein Medium wie gerade die stramm transatlantische Deutsche Welle voran? Hier ihre Einschätzung des Irakkriegs. Da wundert sich, wer diesen Betrieb zu kennen meint. Ein kleiner Betriebsunfall? Einerlei. Es bleibt nur ein herzliches Danke!

Es ehrt (ganz ohne Ironie gesagt) den 2021 verstorbenen US-Außenminister Colin Powell, dass er die Wahrheit hinter seinem Auftritt vor der UNO im Februar 2003 noch zu Lebzeiten klargestellt hat. Über die US-amerikanische Verschwörungstheorie, der Irak besäße Massenvernichtungswaffen, log er dem Irak einen Krieg an den Hals, der , nach unterschiedlichen Schätzungen mindestens 200000 bis 1 Million Iraker das Leben kostete.

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Der empfehlenswerten Seite von Herrn Afsane Bahar zu entnehmen der Link auf den Blick des brasilianischen Investigativ-Autors Pepe Escobar auf die gegenwärtige Welt. Ein bündiger, kurzer atemberaubend weiter Blick über die Gegenwart und ihre Vorgeschichte (April 2023).

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Die Westpresse cancelt alles als “Verschwörungstheorie” oder gleich als “terroristische Propaganda”ab , was ihrem Narrativ widerspricht. Sie scheint dafür seriöser Belege nicht zu bedürfen, sie hat “Experten” und – wenn überhaupt – andere trübe Quellen. Ein Beispiel für exzellent recherchierte und belegte Fakten der Gegenseite: ein Bericht über die weltweit gestreuten Bio-Labore der Vereinigten Staaten. Dass sie unter anderem in der Ukraine vorhanden waren oder noch sind, hat Victoria Nuland vor einem Ausschuss des US-Kongresses bestätigt, sie spricht in wohlgewählten Worten allerdings von “biological research facilities” (biologische Untersuchungs-Einrichtungen).

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Hier die erstaunliche Sicht eines britischen Botschafters auf die Beziehungen zu China.

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Mit dem Blick auf Österreich richtet sich die Aufmerksamkeit auf ein bislang zwar zur Kenntnis genommenes, aber kaum zuendegedachtes Problem des Westens: seine Art von “Demokratie” scheint unaufhaltsam vom Aufstieg rechts-extremer bis faschistischer Parteien bedroht. Das Magazinstück des Deutschlandfunk mag zwar Max Horkheimers berühmter Erkenntnis nicht folgen, dass, wer vom Faschismus spreche, vom Kapitalismus (der Marktwirtschaft) nicht schweigen dürfe. Immerhin verproviantiert der gründlich recherchierte Beitrag sein Publikum mit wichtigen Informationen.

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Übersetzung eines “Reports” der “chinesischen Regierung”. Es wird leider nicht ganz klar, von wo in der “chinesischen Regierung” das kommt. Die Quelle: Xinhua news agency (im Netz nicht gefunden, die Alternative: xinhuanet.com) . Die chinesische Regierung habe, so das Vorwort der Übersetzer, hinsichtlich der Geopolitik der USA in diesem Report inzwischen “die Samthandschuhe ausgezogen”. Sie rede Klartext. Alles mit überwiegend westlichen Quellen belegt und verlinkt. Was den westlichen Mainstream, der nie auch nur eine seiner Behauptungen seriös belegt, nicht daran hindern wird, das Ganze wieder als Verschwörungstheorie abzutun. Sei’s drum, inzwischen siebzig Prozent der Weltbevölkerung interessiert so etwas.

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Die übers Medizinische weit hinausgehende Homepage eines Arztehepaares (Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Akupunktur, Ernährung u.a.). In Texten und Bildern viel Kulturelles. Unter anderem über Musik von Bach bis Dylan, von Grunge bis Liedermacher und Weltmusik. Eine Finde-Seite für Vielseitige und vielleicht auch noch ärztlichen Rats Bedürftige.

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Die Erfahrung lehrt: Verschwörungstheoretiker ist, mit Ausnahme einiger Trittbrettfahrer, längst ein Synonym für gut recherchierte, sauber belegte Informationen und Überlegungen zum Machtgefüge dieser Welt. Ein führendes Mitglied dieser Ehrenlegion ist Thomas Röper, wohnhaft in St. Petersburg. Interessant, was er den Forschungen einer seriösen US-Universität über die Kriege der Vereinigten Staaten seit 1945 entnommen hat.

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REUTERS/Oleksandr Ratushniak

Wer die Vorgeschichte des russischen Angriffs gegen die Ukraine nicht ignorieren mag, gehört in Deutschland schlagartig zu den “Putin-Verstehern” wahlweise zu anderem Quatsch. Ein Vortrag des US-Geopolitik-Wissenschaftlers John J. Mertesheimer, abgedruckt in der jeder Sorte Antiamerikanismus’ unverdächtigen Züricher Weltwoche vom 28. Juni 2022.

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Ein Bericht für das PROJEKT RAND DER US LUFTWAFFE von April 1972
Rand – SANTA MONICA, CA 90406 (Amtliche Geheimhaltung aufgehoben 30. März 2010). Nicht leicht zu lesen, aber lohnend zu wissen. Eines der vielen Beispiele dafür, wie genau und langfristig die Vereinigten Staaten ihre Verschwörungen planen. Ein erhellender Blick in die Karten der Verschwörungspraktiker.

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Die UNO, 1947 infolge der furchtbaren Erfahrungen zweier Weltkriege gegründet, könnte eine Art Weltregierung sein. Nichts wäre in Zeiten von Klimakatastrophe und Gefahr eines dritten Weltkriegs nötiger. Sie müsste als Weltparlament gleichberechtigter Völker Weltlegislative und Weltexekutive mit globaler Durchsetzungsfähigkeit sein. Sie ist es nicht. Hans von Sponeck, ehemaliger deutscher UNO-Diplomat, hat das Weltforum so, wie es ist, unmittelbar erlebt; er sprach vor dem Kasseler Friedensratschlag 2022 zum brandaktuellen Thema einer Uni- oder Multipolatität der Welt (Podcast der Nachdenkseiten).

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